Drei Kinder, sechs Enkel, neun Urenkel und vier Ururenkel: Margarete Seidel als die älteste Schönheiderin ist nun 103 Jahre
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
am 18. März 2016 ist diese wunderschöne Anzeige über unserer Bewohnerin Frau Margarete Seidel anlässlich ihres 103. Geburtstags erschienen. Diese Anzeige rührte so unser Herz, dass wir Sie gern daran teilhaben lassen möchten:
Drei Kinder, sechs Enkel, neun Urenkel und vier Ururenkel:
Margarete Seidel als die älteste Schönheiderin ist nun 103 Jahre
Beachtliche 103 Lenze ist Margarete Seidel als derzeit älteste Schönheiderin am Sonnabend geworden. Über ihr bewegtes Leben hatte sie bereits vor Jahren berichtet … „Aus vollem Herzen lachen, gern arbeiten, öfters mal was Süßes essen – damit kann man so alt werden!“, benennt sie das Geheimnis ihres Alters. Nunmehr im Rollstuhl sitzend, verbringt die einstige Stützengrünerin ihren Ruhestand wohlbehütet im Barbara-Uttmann-Stift am Schönheider Fuchsstein.
Schulzeit in den “Goldenen Zwanzigern“
Ins Erzgebirge verschlug sie das Schicksal: Am 12.März 1913 in Bremen geboren, verlor sie kurz nach dem Ersten Weltkrieg ihre unverheiratete Mutter, die an Tuberkulose starb. In den “Goldenen Zwanzigern“ fand das “Nordlicht“ ein neues Zuhause in Sachsen – zunächst auf einem Bauernhof in Gablenz nahe Chemnitz. Verwandte nahmen sich der Vollwaisen an. “Dort hatte ich eine schöne Schulzeit“, erinnert sie sich. Trotz des Lernens half sie auch täglich in der Landwirtschaft. Spätestens morgens um sechs ging es in den Stall oder auf das Feld. Seidel augenzwinkernd: “Nur vor der immer gleichen wässrigen Brotsuppe graute es mir, weshalb ich sie einfach an die Katze verfüttert hab`!“
“In Stellung“: Bei feinen Herrschaften
Als Fräulein Hunger schaute sie sich mit der Dorfjugend in den Tanzsälen um. “Das war aber nicht so mein Ding“, weiß die Hochbetagte noch, “auf dem Parkett brachte ich einfach nichts zu Stande!“ So fand sie ihren späteren Mann dann auch bei “einem Ausflug in die Stadt“ nach Chemnitz. Dort war sie mittlerweile bei feinen Herrschaften sowie später bei Bäckersleuten als Haus- und Kindermädchen “in Stellung“. Und Margarete Seidel schildert: “Vor dem Fenster eines Cafés am Hauptbahnhof, wo es die köstlichen Torten gab, lief eine Gruppe Soldaten vorbei – und da trafen sich unsere Blicke!“
Bomben auf Chemnitz beobachtet
Gemeinsame Spaziergänge und die Hochzeit anno 1940 folgten. Noch vorm Zweiten Weltkrieg war Sohn Wolfgang geboren worden, den sie nun schon vier Jahre überlebt hat. Ehemann Kurt entkam der Schlacht um Stalingrad, sie selbst beobachtete den Bombenangriff auf Chemnitz aus der Ferne. “Hitler, dieser Sauhund, hat uns das alles eingebrockt!“, bekräftigt sie ohne Umschweife. Margarete ließ sich in keine Nazi-Organisation zwingen, selbst dem Bund deutscher Mädchen (BdM) blieb sie fern.
Einpackerin bis weit ins Rentenalter
Ebenso aufrichtig verweigerte sie sich zu DDR-Zeiten der Zwangsmitgliedschaft in der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft (DSF) sowie in allen Parteien. Nach Kriegsende war ihre Familie zu den Pflegeeltern ihres Mannes nach Stützengrün umgezogen, zunächst an den „Hanfried“. Später wohnte man im Rosental im Vorderdorf und nahe der “Stollmühle“ im Grund. 1950 brachte sie Werner und Günter zur Welt. Von den Zwillingen wusste sie in der Schwangerschaft noch nichts. “Da kommt noch einer hintennach!“, habe sie die Geburt damals kommentiert. Gatte Kurt war auf dem Holzplatz Konsum-Bürstenfabrik (“Geg“) beschäftigt, starb aber schon 1971. Margarete Seidel arbeitete auch in der “Geg“ – als Einpackerin bis weit in das Rentenalter hinein. Erst mit 73 Jahren hörte sie auf. Ihrem “Kollektiv“ an der Arbeitsstelle schrieb sie 1980 von einem Verwandtenbesuch in Westdeutschland auf einer Postkarte: “Hier ist es wie im Paradies!“ Das auch im vereinten Deutschland nicht alles Gold ist, weiß sie trotz oder gerade wegen ihrer Betagtheit: “Wieso unsere Großköpfigen wieder soviel Geld für den Krieg anderswo ausgeben, verstehe ich nicht!“ Am liebsten würde sie auf dem Rathausplatz dagegen demonstrieren.
Losung mit täglichen Bibelworten über Generationen und Jahrzehnte hinweg
Ihr ganzes Glück bleibt die Familie, zu der mittlerweile auch sechs Enkel, neun Urenkel sowie vier Ururenkel gehören. Jenes Quartett hat sie besonders ins Herz geschlossen. Und genauso ihre “Lieblingsenkelin“ Kerstin Reinhold, bei der sie einst zwölf Jahre wohnte. Am Schönheider Baumannsberg ließ sie sich nur schwerlich von Hausordnung, Wäschebügeln und Strümpfestopfen abbringen. Geblieben ist ihr über alle Generationen und Jahrzehnte die Losung mit deren täglichen Bibelworten. Weil es mit dem eigenen Lesen nicht mehr funktioniert, bekommt sie jetzt vorgelesen. Manchmal denkt sie an die Nachmittags-Predigtstunden in der Landeskirchlichen Gemeinschaft im Stützengrüner Grund zurück. Heutzutage freut sie sich allwöchentlich immer wieder auf die Andachten in “ihrem“ Alten- und Pflegeheim. Und sie weiß: “Wenn der Tod kommt, muss man mitgehen!“ Danach gefragt, was das Beste in ihrem schon über ein Jahrhundert langen Leben war, bekennt sie, ohne nachzudenken mit einem Lächeln aus tiefsten Herzen: “Mein Kurt!“
Text und Foto: Schönheider Wochenblatt, Herr Eberhard Mädler