Ausflug des Dresdner Hofs in die Dreigroschenoper
Zwischen meisterhaften Bettlern und romantischen Räubern
Bewohner unseres Seniorencentrums Dresdner Hof erklärten für einen mitreißenden Theaterbesuch die Nacht zum Tag.
Die Sonne hatte längst ihren Weg auf die andere Seite unserer Weltkugel angetreten und dem kühlen Abendhimmel ihren Platz überlassen, als eine kleine Gruppe junger und älterer Gestalten mit klackendem Schuhwerk und flinken Rollstühlen über Leipzigs Pflastersteine poltert. „So ein Gewackel“, wunderten sich die Bewohner unseres Seniorencentrums, die sich sicherheitshalber tief hinein in ihren Sitz gedrückt hatten. „Keine Bange, ich bringe Sie heil zum Theater“, verspreche ich meinem Schützling, auf dass er jählings die holprigen Gehwege vergisst und leise beginnt, in Erinnerungen zu schwelgen. „Die Dreigroschenoper habe ich zuletzt vor fünfzig Jahren gesehen“, erzählt eine Bewohnerin vertieft und mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Beinahe unbemerkt überfahren wir indes eine flache Schräge und plötzlich schallen kunterbunte Menschenstimmen aus allen Richtungen. Frau Schnelle kräuselte die Stirn: „Wir sind wohl schon da?“, wunderte sie sich.
Ein gläserner Fahrstuhl fährt uns inmitten einer breiten, geschwungenen Treppe in die Höhe. Unsere Bewohner und unsere freundlichen Beauftragten für Kultur an diesem Abend Daniela Mutke und Thomas Wolff – sie alle stecken die Köpfe zusammen und überlegen, wann die „Dreigroschenoper“ denn eigentlich uraufgeführt wurde. „1928 muss das gewesen sein“, weiß eine Bewohnerin und just in diesem Moment öffnen sich die Türen zur großen Bühne:
Schwarz und weiß präsentiert sich die große Bühnenwand, davor das imposante Gewandhausorchester in all seiner Pracht. In einem großen „D“ – einem der als Kulisse dienenden, riesigen Buchstaben der „Dreigroschenoper“ – liegt schlafend ein Mann in schwarzem Ledermantel, den selbst das laute Einströmen der restlichen Zuschauer nicht zu stören scheint – zumindest bis das Licht aus geht und eine bleiche Gestalt mit Megafon im Schlepptau die Bühne betritt. Der Schlafende öffnet die Augen und zieht das Publikum alsbald singend in seinen Bann. Sein Name dürfte allen, die die „Dreigroschenoper“ noch von früher kennen, ein Begriff sein. Denn es handelt sich um keinen Geringerer, als den Verbrecher Macheath, genannt Mackie Messer, der klammheimlich die Tochter seines Gegenspielers Jonathan Jeremiah Peachum, Kopf der Firma „Bettlers Freund“ geheiratet hat. Mr. Peachum unterweist arme Leute in der Kunst des gewinnbringenden Bettelns, macht aus ihnen kopflose Trauergestalten, die auf den Straßen Londons das Mitleid der Bürger zu Geld werden lassen. Anders als seine Untergebenen lässt sich seine Tochter Polly jedoch nicht zurechtweisen. Sie lehnt die Forderung ihres Vaters ab, sich von Mackie Messer scheiden zu lassen. Mr. Peachum will Mackie Messer deshalb am Galgen sehen. Er zeigt den Verbrecher an, doch dieser hegt freundschaftliche Kontakte zu Polizeichef Brown. Pollys Mutter lässt dies nicht auf sich beruhen und setzt bei den Huren, mit denen Mackie Messer es schon oft bunt getrieben hat, ein Kopfgeld aus. Polly, die davon erfährt, rät ihrem Liebsten, zu fliehen, doch dieser begibt sich unversehens in das Hurenhaus und wird verraten. Im Gefängnis hofft er auf Polizeichef Brown, der seinem Freund stets wohlgesonnen war, bis er erfährt, dass seine Tochter Lucy ein Kind von Macheath in sich trägt. Lucy ihrerseits wirft Mackie Messer die Hochzeit mit Polly vor, woraufhin dieser seine Frau verleugnet und zwar ausgerechnet als diese kommt, um ihn zu sehen. Das Kartenhaus stürzt zusammen, eine riesige Nebelwolke zischt über unsere Köpfe und Berthold Brechts Ballade über die Frage „Wovon lebt der Mensch“ erklingt. „Der Mensch lebt nur von Missetat allein!“, lautet die Antwort und dennoch sind Mackie Messers Hoffnungen, der Todesstrafe zu entfliehen, scheinbar dahin. Als Macheath jedoch am Galgen steht, überbringt ein reitender Bote der Königin ihm ein Begnadigungsschreiben und dem Zuschauer fällt aus rätselhaften Gründen ein Stein vom Herzen.
Das Licht geht an und Jubelschreie und Applaus füllen den Saal. Unsere Bewohner klatschen sich noch lange Zeit die Hände warm, doch immerhin dürfen die Handschuhe hierdurch in den Taschen bleiben. Und obwohl die Pflastersteine auf dem Rückweg in den Dresdner Hof das metallene Gestell der Rollstühle nicht weniger zum Wackeln bringen, herrscht darüber Stillschweigen. Stattdessen hört man unsere Bewohner lachen und sagen „Es war wunderbar!“, „Sehr originell!“, „Es hat mir sehr gefallen!“
geschrieben von Christin Konrad
Im Februar haben wir schon das Konzert von André Rieu besucht.